Möglichkeiten des Publikums

Gehen Sie dorthin, wo etwas passiert.

Gehen sie ins Theater, am besten ins kleine (bevor Sie wieder Zustände wie die angeführten unterstützen). Denn dort passiert tatsächlich etwas. Manche kleine Theater sind anstrengend, manche für Ihr Empfinden sicherlich schlecht. Das passiert auch mit vielen Büchern, und die können Sie nur wütend wegwerfen. Im Theater aber haben Sie die Möglichkeit zu schimpfen und im Anschluß Buh zu rufen. Es wird gehört. Sie können sogar mit den Schaffenden über das Werk reden.

Gehen Sie nicht zu gewöhnlichen Lesungen, denn dort passiert nichts. Wenn Sie zur Gruppentherapie wollen, dann gehen Sie zu Lesungen, in denen nichts passiert, denn dort ist der größte Inhalt das Leiden für beide Seiten.

Gehen Sie nicht zu institutionalisierten Lesungen, also in geförderte öffentliche Häuser. Auch dort passiert nichts, dort wird sich nichts getraut. Niemand greift dort an, weil dort die fütternde Hand haust, die Institution, also die Eingesessenheit. Stellen Sie sich das einmal vor: Die Schaffenden einer Kunst, die an vorderster Stelle der allgemeinen Gedankenentwicklung stehen soll, buckeln, grinsen und scharwenzeln mit einem Male, wenn Sie bezahlterweise auf der Bühne stehen. Im Grunde müßte ein Publikum sein Geld zurückverlangen, wenn es nicht beleidigt oder zumindest verstört wird. Und Autoren müßten zerknirscht Ihre Gage zurücklegen, wenn Sie den Eindruck haben, nicht gesagt zu haben was sie zu sagen hatten.

Hüten Sie sich vor dem sogenannten etablierten Kulturpublikum! Das sind Langeweiler, die es zu Hause nicht aushalten, aber auch draußen die Langeweile pflegen wollen. Was ist zu halten von Menschen, die sich lang vergangene, zur vollkommenen Leere verkommene Festtagsgedichte zum etlichen Male von abgeschliffenen, müden Possenwerfern vortragen lassen?
Worin ist die Kulturhandlung zu finden, daß Menschen einzig in Häuser gehen, um sich Kultur darbieten zu lassen? In der Leistung, nicht zu Haue geblieben zu sein? Das ist es nämlich: einzig in ein Haus mit bestehendem sogenannten Ruf zu gehen und Eintritt zu zahlen. Geben Sie dieses Geld einem Gedichte-Drescher oder -Kleber an der Straßenecke, wenn es ihnen neu ist, meinetwegen einem Musikanten, wenn er ein Lied spielt, das sie noch nie gehört haben.

Gehen sie nicht zu Lesungen blasierter Kammerschauspieler, das ist alles toter Ramsch. Solche Leute sind imstande, selbst wuchtige Autoren zu verramschen, verharmlosen, verinstitutionalisieren, verentertainisieren.
Nicht einmal im Altersheim, im Pflegekäfig, ist das zulässig. Schicken Sie Kinder zur Unterhaltung hin, oder Clowns, oder Priester – aber nein, von beiden letzteren kommt zumeist nichts Neues. Jeder Mensch hat ein Recht auf Neues und die Pflicht dazu, selbst die vernebeltsten.

Die billige Unterhaltung ohne hintergründiges, weiteres Ziel muß sich selbst verbieten durch die ständig lauernde Gefahr eines dem unteren Durchschnitt entwachsenen Publikums, das nichts duldet, was unter dieser unteren Durchschnittsgrenze tümpelt, das nicht einmal protestiert, sondern gar nicht kommt, weil es eben keine Bücher mehr liest, sich nicht von zwei Deckeln blenden läßt, weil es gelernt hat, einen nackten Text rascher zu beurteilen. Und wenn es protestiert – was für eine Wohltat, ein Segen für die Autoren! Wehrt Euch, klagt an, verteidigt oder beschimpft – Ihr dürft das, Ihr steht auf einer Bühne.
Und werfen Sie endlich Ihren Fernsehapparat weg. Das ist ja schrecklich, dort geht nichts weiter. Nie, auf keinem Sender.

Stellen Sie sich das vor! Sie können ganz ohne Aufwand handelnder Teil der Literatur werden. Auf alle Fälle vergessen Sie dabei nicht den Respekt.

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Alles wird bewahrt und erweitert. Nichts geht verloren.
Unschlüssiges und Unvollkommenheiten sind als Lebenszeichen zu betrachten.

 

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